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John Cage und die Frei Improvisierte Musik

    Foto:  fb
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    Datum: 07/08´11 | Münster |
    Autor & Kontakt: Gregor Bohnensack
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    4’33“ verändert die Welt der Musik

    4’33’, dieses lautlose Klavierstück von Cage, hat alles verändert. Mit 4’33 ist die Klangherrlichkeit des Klaviers gebrochen und die bürgerliche Musikdarbietung, als eine notenkomplexe und disziplinierende Veranstaltung infrage gestellt. Das verstummte Klavier nebst Orchester ist hier kein Vehikel mehr für eine wie auch immer gestaltete Virtuosität. Um diesen Bruch mit der abendländischen Fingerfertigkeit am Musikinstrument geht es auch der Freien Improvisation. Die Freie Improvisation definiert sich erst einmal negativ, nämlich durch das, was sie nicht ist: ein genialer Komponist taucht nicht auf, das ‚Konzert’ ist nicht unterhaltsam, weil neben Tönen auch Geräusche erklingen, die manchem Hörer wie eine Beleidigung seines Ohres erscheinen und eben nach seinem Verständnis keine Kunst sind.

    Bei 4’33’’ ist es gar nicht soviel anders: auch hier wird der Hörer nicht verzaubert: Er hört Stühle rücken und das Flüstern seines Nachbarn; er hört ein entferntes Husten und vielleicht ein leises Pfeifen im eigenen Atemvorgang: das alles ist nicht schön. Eine Instrumentaltechnik, die den Hörer zu berauschen vermag, wird nicht ausgepackt. Stattdessen markiert der Pianist die Sätze des Stücks durch Öffnen und Schließen des Klavierdeckels. Kann das nicht jeder, der zwei Arme hat? Man fühlt sich vielleicht, wenn man über den Tellerrand der Musikkonsumtion hinausschaut, an Ernst Jandl und seinen Text vom Öffnen und Schließen des Mundes erinnert. Klänge werden durch Gesten ergänzt. Der Körper kommt ins Spiel, wenn der Pianist nicht mehr spielt, achtest du verschärft auf seinen Körper. Viele Hörer, die im Frack ins Konzert gehen, möchten jetzt ihr Geld zurück. Wie sagt doch John Cage: „Viele denken, Kunst hätte mit Verstehen zu tun, aber das ist nicht der Fall. Sie hat vielmehr mit Erfahrung zu tun… Man möchte nicht verunsichert werden. Deshalb verlassen sie den Saal und behaupten, es gäbe keine Avantgarde. Aber die Avantgarde gibt es weiterhin, sie ist Erfahrung.“ [1]

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    Genau darin liegt auch die Aufgabe des Improvisierenden Musikers: er schafft Erfahrungsräume. Der Frei Improvisierende Musiker musiziert eigentlich gar nicht, sondern produziert Klänge und Gesten, die aufhorchen lassen und infrage stellen. Eine so verstandene Musik will Denkvorgänge provozieren, ist eine Art erweiterter Philosophie. Der Improvisationsmusiker Christopher Dell schreibt: „Die Ordnung der Dinge, so wie sie bis ins 20. Jahrhundert vorherrschend war, scheint vorüber zu sein. Ordnung wird nicht mehr durch die Vermittlungsinstanzen religiöser oder weltanschaulicher Provenienz bestimmt, sondern verortet sich in jedem Moment neu.“ [2]
    Auch für Musik gibt es keine vorgegebne Ordnung mehr. Vielmehr sind Musiker aufgefordert, Position zu beziehen. Freie Improvisationsmusik ist daher kein Gotteslob, sondern Musik des Augenblicks. Improvisationsmusik basiert auf der Vorstellung, dass jedes Individuum in einem unerhörten und unbegreiflichen Abenteuer auf diesem Planeten unterwegs ist. Aussagen können wir nur für diesen Moment treffen, alles Reden vom ‚Ewigem’ ist hohl: Luthers Katechismus ebenso wie Bachs Choräle und die Hirtenbriefe der Päpste sowieso. 4’33’’, von Cage 1952, wie ein Echo auf Auschwitz ‚komponiert’, macht diese Sichtweise hörbar.
    Improvisationsmusik ist ein Provisorium, das als Moment einer globalen Performance – oft elektronisch aufgezeichnet – an ein Datum gebunden durch die Welt geistert.

    Wie sich 4.33 auf Improvisation auf die moderne Bildende Kunst auswirkt, zeigt eine Aktion von Joseph Beuys und Nam June Paik aus dem Jahre 1978 in Düsseldorf: ‚In memoriam George Maciunas‘. Maciunas, ein bildender Künstler, starb mit 47 Jahren. Dazu erklärt Beuys: „Denn wir haben gesagt, er ist mit 47 gestorben, wir stülpen das um und machen deshalb die Laufzeit, die Lebenszeit in umgestülpter Form… Wir stellen zwei Pianos auf, er macht seine Sache, ich mache meine Sache, wir haben uns nicht abgesprochen über das, was wir machen. Also tonmäßig. Wir treffen uns an einem Punkt, keiner weiß vom anderen, was er macht; das einzige, was wir wissen und worüber wir uns geeinigt haben, ist die Zeit.“ [3] Tatsächlich hat Beuys dann mit Nam June Paik am Klavier 74 Minuteniimprovisiert.

    Das Präparierte Klavier

    ist eine der wichtigsten Erfindungen von Cage. Präparieren heißt bei Cage, den Klang des Klaviers mit Papierstreifen, Schrauben und Stiften zu manipulieren und zu brechen. Cage schuf im März 1940, mitten im 2. Weltkrieg, ein Tasteninstrument mit dem er – für eine Tanzchoreografie – das Perkussionsensemble ersetzen wollte. Cage macht das Klavier zum Diener. Seine Klavierverfremdungstechnik ist mit der Dämpferspiel bei Trompeten und Posaunen zu vergleichen: Auch hier wird der heroische Klang des Instruments zunächst im Jazz, etwa bei Miles Davis, später in der Improvisierten Musik von Radu Malfati (Posaune) oder Birgit Uhler (Trompete) durch Dämpf- und Stopftechniken radikal verfremdet. Über die Anordnung des präparierten Materials im Körper des Klaviers schreibt Cage: „Es war, wie wenn man am Strand entlanggeht und Muscheln findet, die einem gefallen. Wenn man das Klavier präpariert hat und auf ihm i m p r o v i s i e r t (Hervorhebung von mir, G. B.), dann findet man auch Melodien und Klangkombinationen, die zur Struktur der Präparation passen.“ [4] Das Zitat zeigt, in welcher Weise Improvisation bei Cage eine Rolle gespielt hat.

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    Festzuhalten bleibt, dass sich bei Cage, wie auch in der Improvisierten Musik, Klangideale wandeln: ein Steinway, Ausdruck musikalischer „Hochkultur“, wird verdinglicht und zu einem ‚gewöhnlichen’ Instrument der Klangerzeugung. Mit Cage lassen sich Instrumente, gegen ihre ursprüngliche Verwendung einsetzten, und genau hier erweist sich der amerikanische Komponist als Türöffner für die Frei Improvisierte Musik. Die Stille, bei Cage ein wesentliches musikalisches Gestaltungsmoment, klingt noch im Improvisationsstil von Axel Dörner (Trompete) nach.
    Cage, der vom Zen-Buddhismus beeinflusst war, verbindet Traditionen: Das kommt auch in einem Konzert vom 13. Dezember 1991 in Münster zum Ausdruck. Im paläontologischen Museum der westfälischen Provinzhauptstadt erklingen Kompositionen (für Schlagzeuger und Klavier) u. a. von Cage im Kontext traditioneller afrikanische Musik. Die Veranstaltung heißt dann auch: „Von Afrika bis zur Avantgarde: Musik für Schlaginstrumente.“ [5]. In dem Heft bezeichnet Gisela Gronemeyer, Cage als Erfinder, der mit „Bierflaschen, Blumentöpfen und Bremstrommeln“ experimentiert habe [6]. Auch hier zeigen sich Analogien zur Improvisierten Musik.

    Erfahren statt Verstehen

    Die Experimente mit präparierten Klavieren machen deutlich: Musik soll bei Cage erfahren, nicht verstanden werden. „Bedauerlicher Weise hat es das europäische Denken mit sich gebracht, dass wirkliche Dinge, die geschehen, wie etwa, wenn man plötzlich zuhört oder plötzlich niest, nicht als tief angesehen werden“, sagt Cage [7]. Wirkliche Dinge, die überraschend kommen und jenseits der Notensprache erklingen, spielen aber auch in der Frei Improvisierten Musik eine erhebliche Rolle. Zum Beispiel, wenn der Cellist Scott Roller das Spiel auf seinem Instrument plötzlich mit der eigenen Stimme ergänzt. Improvisierte Musik ist voller Ungereimtheiten. Vieles erscheint unlogisch und ist Teil eines trancehaften Spiels der Musiker. Damit ist das Unbewusste bei Cage ebenso wichtig wie in der Improvisierten Musik. Zu recht begreift Thomas Ulrich, Beethoven als den Antipoden zu Cage. Denn Beethoven, so Urich, versuche durch die Partitur seiner Musik Bedeutung zu geben. In letzter Konsequenz wäre demnach das Studieren der Noten ausreichend. Demgegenüber entstünde, bei Cage, die „Musik im Moment.“ Ulrich fährt fort: “…der Komponist Cage tritt erst hervor, wenn das Hören auf seine Musik zum Abschluss gekommen ist, wenn nachträglich darüber geredet, darauf reflektiert wird…“ [8].
    Als ein Feld für Reflexionen kann auch die Freie Improvisationsmusik verstanden werden. Improvisation setzt den Denkapparat der Anwesenden in Gang; es geht ihr um Kommunikation und Interaktion zwischen Musikern und Hörern, nicht um die Heroisierung eines vermeintlichen Genies.

    Zitate

    [1] zitiert nach: Thomas Ulrich, Neue Musik aus religiösem Geist, 2006, S. 190

    [2] Christopher Dell: Prinzip Improvisation, 2002, S. 16

    [3] Uwe M. Schneede: Joseph Beuys Die Aktionen, Werkverzeichnis, S. 360, in dem Werkverzeichnis zitiert Schneede auch allgemeine Sätze des Künstlers über sein Klavierspiel: „Ich hatte schon als Kind die Erfahrung, je weniger ich übe, um so besser werden die Töne. Ich hatte auch das Gefühl, wenn ich drei Jahre das Klavier nicht angerührt hatte, daß ich dann viel mehr gelernt hatte, als wenn ich dauernd während der drei Jahre gespielt hätte. Natürlich hätte ich so nie Virtuose werden können, aber das habe ich ja gerade bekämpft, dieses Virtuosentum… S. 362

    [4] zitiert nach Matthias Lehmann. Text zur John Cage CD: Sonatas and Interludes for Prepared Piano, gespielt von Boris Berman, 1999, S. 6

    [5] zitiert nach: Neue Musik in Münster, 1991, Konzertreihe WDR-Landesstudio Münster und Stadt Münster, Programmheft S .4

    [6] ebd. Seite 10

    [7] zitiert nach: Thomas Ulrich, Neue Musik aus religiösem Geist, S. 191

    [8] Thomas Ulrich, Neue Musik aus religiösem Geist. S. 197

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